Ein Projekt auf den Malediven
Trauminsel im Realitäts-Check
Schon seit über 12 Jahren arbeite ich für Fichtner – eine lehrreiche Zeit, denn durch die sehr unterschiedlichen Projekte im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz habe ich immer wieder die Möglichkeit, neue Kulturen kennenzulernen. Einige Länder in Mittel- und Südamerika wie Mexiko und Uruguay haben sich für mich ein bisschen wie Heimat angefühlt. Mit anderen Ländern wiederum hatte ich mich vor dem Projekt kaum beschäftigt, etwa Moldawien, Kosovo und Äthiopien. Eines haben alle Länder, in die mich meine Arbeit bei Fichtner geführt hat, gemeinsam: Sowohl in professioneller als auch in privater Hinsicht habe ich tolle Erfahrungen und Erinnerungen gesammelt.
Von einem ganz besonderen Land möchte ich in diesem Blogbeitrag erzählen: den Malediven – Sehnsuchtsort sicher vieler Leser, die sich vermutlich gleich an einen weißen Strand träumen. Ich muss zugeben, dass auch ich bis vor sieben Jahren keinen anderen Eindruck von dem Inselstaat im Indischen Ozean hatte. Aber der Reihe nach …
Ich erinnere mich noch an den Morgen, als mein Vorgesetzter mich über unser neues Projekt auf den Malediven informierte und mir eröffnete, dass ich diejenige sei, die es leiten sollte. Meine erste Reaktion: ein Lächeln. Wow, habe ich nur gedacht, ist das nicht schön?
Arbeiten im Urlaubsparadies?
Mit den Malediven verband ich nicht nur ein unbekanntes und schönes Land, sondern – ebenso wichtig – ein interessantes Projekt. Unser Auftraggeber war das Ministerium für Umwelt und Energie. Bei dem Projekt ging es um die Reduzierung von CO2-Emissionen von Stromerzeugung durch die Implementierung von Energieeffizienzmaßnahmen und Hybrid-Systemen (Diesel-PV) in Thinadhoo, einer Hauptinsel im Süden der Malediven.
Aber was ich bis dahin nicht wusste: Die Malediven sind ein muslimisches Land. Für mich galt es daher erst einmal mit unserem lokalen Partner zu klären, welche Besonderheiten wir im Rahmen unseres Projekts betrachten mussten. Dies bezog sich auf Allgemeines, etwa, ob es im Land eine Kopftuchpflicht gab, aber auch Aspekte wie die Festlegung unsere Termine, da wir wahrscheinlich während des Fastenmonats Ramadan vor Ort sein würden.

Fischerei ist eine der Hauptaktivitäten auf den Malediven.
Auf Thinadhoo werden große Fischerboote gebaut.
Dreimal war ich während des einjährigen Projekts zwischen Juli 2013 und Juli 2014 auf den Malediven, zweimal während Ramadan. Für mich eine neue Erfahrung mit der Erkenntnis: Fasten hat noch keinem geschadet! Für das Projekt haben wir sowohl die Insel Malé im Zentrum der Malediven mit den vier ursprünglichen Stadtteilen der Hauptstadt als auch Thinadhoo besucht und haben viel Neues über das Land erfahren. Wussten Sie zum Beispiel, dass Malé eine der am dichtesten besiedelten Inseln der Welt ist?
Natürlich habe ich mich auch auf die tollen Strände und Hütten gefreut, mit denen die Urlaubskataloge werben. Doch diese waren auf Malé Fehlanzeige. Unser lokaler Partner erklärte uns, warum. Das Land war ziemlich streng aufgeteilt: Es gab die „Urlaubsinseln“ und die „Einheimischen-Inseln“. Einmal dürfen Sie raten, wo unser Projekt stattfand!
Was Hochglanzkataloge nicht zeigen
Die Urlaubinseln der deutschen Reisekataloge sind mir tatsächlich bis heute vorenthalten geblieben. Dafür habe ich eine andere Seite des Landes kennengelernt, die kein Tourist im Katalog oder auf touristischen Streifzügen findet. Ein Land, das als Folge des Klimawandels extrem gefährdet ist und das trotzdem versucht, Teil der Lösung und nicht des Problems zu sein. Ein Land, das versucht sich langsam zu öffnen: Bis kurz vor unserem Projekt war es für Touristen nicht möglich, auf Einheimischen-Inseln zu übernachten; dann haben einige Inseln angefangen, Gästehäuser zu bauen, um Touristen die Möglichkeit zu geben, auch diejenigen Inseln zu besuchen, die sehr wenig mit dem Luxus der fotogenen Resorts zu tun haben.
Obgleich ich mich im Land wohlgefühlt habe – die kulturellen Unterschiede blieben. So durften mein Kollege und ich die folgende Erfahrung gleich während unseres ersten Besuches machen: Die Frage meines Kollegen an unseren lokalen Partner, wo wir baden könnten, führte uns schließlich nach Hulhumale, die Insel, auf der der Flughafen liegt. Nicht einmal fünf Minuten lagen wir am Strand, da kam schon die Polizei, um uns des Platzes zu verweisen. Naja, Pech gehabt … Aber einige Monate später, beim zweiten Besuch und mit Hilfe unseres lokalen Partners schafften wir es tatsächlich eines Tages, nach Feierabend ein kleines Boot zu mieten, das uns auf eine zehn Minuten entfernte Insel brachte. Und da war sie: Eine kleines unbewohntes Eiland nur für uns, türkis-klares Wasser, Sonnenschein und: Wir durften baden!

Thinadhoo liegt im Süden der Malediven. Die Insel hat eine Gesamtfläche von 1.2 km² und rund 5000 Einwohner.
Malé auf dem Fahrrad umrunden …
schnell erledigt!

Einzigartige Erinnerungen
Viele Dinge bleiben mir von den Malediven in Erinnerung: mein erstes Projekt in einem muslimischen Land, mein erster First Class-Flug[1], Thinadhoo bei Sonnenuntergang auf dem Motorrad zu erkunden, am Flughafen nicht nur meinen Koffer, sondern auch mich selbst wiegen zu müssen, Malé bei Sonnenaufgang mit dem Fahrrad zu umrunden … Am intensivsten bleibt allerdings der Eindruck von den netten und sehr hilfsbereiten Menschen, die am Anfang ein bisschen zurückhaltend wirkten, aber sich nach einer Weile offen und neugierig zeigten.
Ich fand es schon damals bedrückend, wie wenig – um nicht zu sagen nichts – die Einheimischen vom Wohlstand der „Urlaubsinseln“ mit- und abbekommen. Umso schöner, dass unser Projekt genau auf diese Einheimischen-Inseln gezielt hat. Für mich ist klar, dass ich diese Seite der Malediven höchstwahrscheinlich nie kennengelernt hätte, wenn meine Arbeit mich nicht dort hingeführt hätte. Solche Einblicke bekommt man nur selten durch Tourismus. Und genau deswegen freue ich mich schon auf das nächste Projekt und das nächste Ziel.
[1] Nur zur Klarstellung: Unsere Dienstreise erfolgen natürlich nicht in „First-Class“-Flügen, aber für den ersten Besuch vor Ort hatten mein Kollege und ich Glück und wurden upgegraded.
März 2020

Adriana Gomez Mejia
Senior Consulting Engineer
im Geschäftsbereich Erneuerbare Energien, Smart Energies und Umwelt