Planung einer Kläranlage mit nachhaltiger Stromerzeugung in San Salvador
Ein Klärwerk wird zum Kraftwerk
Errichter und Betreiber von Klärwerken planen immer öfter energieautarke Anlagen, haben aber selten eine Vermarktung von Strom im Fokus. Der staatliche Stromerzeuger Comisión Ejecutiva Hidroeléctrica del Río Lempa agiert anders. Er möchte in San Salvador nicht nur eine energiekostenautarke Kläranlage errichten lassen, sondern denkt einen Schritt weiter. Durch die optimale Nutzung der Stromerzeugungsoptionen mit Klärgas, Photovoltaik und Wasserkraft auf dem Gelände der neuen Kläranlage kann ein Stromertrag erzielt werden, der den Eigenbedarf der Kläranlage um das Sechsfache übersteigt. Mit diesem innovativen Konzept wird eine Einnahmequelle geschaffen, die das Problem der fehlenden finanziellen Mittel für Kläranlagen auch in vielen anderen Ländern lösen könnte.
In der Metropolregion San Salvador in El Salvador leben etwa 1,75 Millionen Menschen, deren Abwasser unbehandelt in die naheliegenden Gewässer gelangt, unter anderem in den Fluss Río Acelhuate. Dies ist auch eine Herausforderung für die staatliche Stromerzeugungsgesellschaft Comisión Ejecutiva Hidroeléctrica del Río Lempa (CEL). Sie betreibt drei in einer Kaskade angeordnete Wasserkraftwerke, deren Stauseen teilweise von dem stark belasteten Río Acelhuate gespeist werden. Diese Kläranlage würde nicht nur die durch Schmutz, Schwebstoffe und Gegenstände hervorgerufenen Probleme beim Betrieb der Wasserkraftwerke lösen, sondern auch die Verunreinigung der Gewässer im Raum San Salvador erheblich reduzieren. Damit löst die CEL nicht nur ein Umweltproblem, sondern wird in der Anlage selbst auch Strom erzeugen.
Kläranlage mit Mehrfachnutzen
Stromerzeugung in einem Klärwerk ist an sich nichts Neues, auch andere Betreiber von Kläranlagen nutzen das im Gärprozess entstandene Klärgas hierfür. Meistens geht es jedoch darum, einen Teil des eigenen Strombedarfs zu decken. Das Projekt der CEL hingegen strebt eine hohe Energieausbeute an, um möglichst viel grünen Strom ins Netz einspeisen zu können. Die geplante Kläranlage, die in der Gemeinde San Salvador Ost entstehen soll, ist daher höchstwahrscheinlich einzigartig in der Welt, denn sie würde:
- 70 Prozent der Abwässer einer Großstadt wie San Salvador reinigen,
- einen reibungsloseren Betrieb der bestehenden Wasserkraftwerke ermöglichen,
- durch die Kombination der verschiedenen Technologien fast sechsmal so viel Strom erzeugen, wie für den Betrieb benötigt wird, und zudem
- Klärschlamm generieren, der als Biofeststoffe oder Dünger eingesetzt werden kann.
Das innovative Stromerzeugungskonzept basiert auf einer Kombination aus Klärgasanlage, Photovoltaikanlage und Kleinwasserkraftwerk, um die verfügbaren erneuerbaren Ressourcen optimal zu nutzen.
Eckdaten der gesamten Anlage in San Salvador
Über vier Megawatt elektrische Leistung gewinnen
Die hohe Stromerzeugung ist mitunter den klimatischen Bedingungen und den geographischen Begebenheiten mit großen Höhenunterschieden in El Salvador zu verdanken: Die Produktion von Klärgas ist aufgrund der optimalen Temperaturen ganzjährig hoch und bedarf keiner Wärmezufuhr. Die Klärgasmenge wird daher eine Stromproduktion von 1,7 MW ermöglichen (bei einem hohen Nutzungsgrad von mehr als 80 Prozent). Ebenso gut sind die Bedingungen für die Photovoltaikanlage, die das Klärwerksgelände großflächig überspannen wird und in der Spitze 3,17 MW elektrische Leistung liefern soll; ein Kleinwasserkraftwerk wird weitere 0,56 MW beisteuern. Zieht man den Eigenbedarf der Anlage von 0,8 MW ab, bleiben in der Spitze 4,63 MW elektrische Leistung zum Einspeisen in das Stromnetz, was einen weiteren Beitrag zur nachhaltigen Stromerzeugung in El Salvador darstellt.
Der Abwassersammler zwischen der Stadt San Salvador und der Anlage führt durch eine sehr hügelige Region. Er wird abwechselnd unter der Erde verlegt oder von Brücken getragen, um Bäche und Senken zu überqueren.
Planung mit Weitblick: Fichtner-Team zeigt Alternativen auf
Bei der Planung der Klär- und Stromerzeugungsanlagen hat Fichtner zunächst die vorhandene Machbarkeitsstudie der CEL geprüft und das Konzept optimiert, um im nächsten Schritt die Vor- Entwurfs- und Ausführungsplanung für die Genehmigung zu erstellen. Obwohl die Randbedingungen vorgegeben waren, wurde dabei über den Tellerrand geschaut, um das beste Ergebnis zu erzielen. So haben die Fichtner-Wasserkraftexperten zum Beispiel erkannt, dass der vorgesehene Ort für die Wasserturbine nicht optimal gewählt war. Ein Standort 40 Meter flussabwärts bietet bessere Bedingungen für ein Kleinwasserkraftwerk, da er zum einen besser zugänglich ist und zum anderen eine deutlich höhere Energieausbeute verspricht. Also hat das Team im Rahmen der Planungsarbeit einen Alternativvorschlag unterbreitet, der von CEL gerne aufgenommen wurde.
Nicht zuletzt wegen der guten Kommunikation der Experten-Teams bei CEL und Fichtner machte das Projekt schnell Fortschritte. Auch dank des multidisziplinären Fichtner-Teams ist eine ganzheitliche und optimierte Planung entstanden. Inzwischen steht seit einigen Monaten das Anlagendesign und Fichtner wurde beauftragt CEL bei der Ausschreibung und dem Vergabeprozess zu unterstützen.
Vereinte Kräfte in innovativem Projekt
Projekte wie das der Klär- und Kraftwerksanlage San Salvador verlangen ein multidisziplinäres Team und eine hervorragende Zusammenarbeit im Sinne einer ganzheitlich optimierten Planung. In diesem Fall haben folgende Fichtner-Expertinnen und Experten mitgewirkt:
Blaupause für Kläranlagen in anderen Regionen der Welt
Das Konzept einer kombinierten Klär- und Kraftwerksanlage könnte auch an anderen Standorten in El Salvador und weltweit großen Nutzen bringen. Aufgrund der hohen Energiekosten des Kläranlagenbetriebs fehlen oft die finanziellen Mittel – nicht nur für die Errichtung der Anlage selbst, sondern auch für deren Betrieb und Instandhaltung. Wenn jedoch die Stromerzeugung im Klärwerk über den Eigenbedarf hinaus zur Einnahmequelle wird, stellt sich die finanzielle Situation wesentlich günstiger dar. In weiteren Betrachtungen hat Fichtner erkannt, dass an vielen Standorten gute Bedingungen für eine Kombination aus Klärgasproduktion, Photovoltaik und Wasserkraft herrschen. Die dadurch möglichen Einnahmen könnten sowohl für Kläranlagenbetreiber als auch für Geldgeber von Interesse sein, wie das Projekt in San Salvador demonstriert. Erste internationale Investoren haben bereits ihr Interesse an dem Projekt bekundet. So könnte dieses Anlagenkonzept die Abwassersituation an vielen Orten der Welt verbessern.
Francisco Mendoza Parissi über seine Rolle des Projektdirektors:
„Meine beiden Hauptaufgaben bei dem Kläranlagenprojekt in San Salvador bestanden in der Koordination und in der Kommunikation. Als gebürtiger Mexikaner spreche ich die Amtssprache von El Salvador – Spanisch – fließend. Daher fiel es mir leicht, mich mit unserem Auftraggeber CEL auszutauschen. Ich habe also viel Zeit vor Ort im direkten Kundenkontakt verbracht und von dort unsere multidisziplinären Teams koordiniert. Dies war insbesondere in der Zeit der Covid-Pandemie, in der das Reisen schwierig war bzw. zusätzliche Risiken für die Mitwirkenden mit sich brachte, von außerordentlichem Vorteil.
Die damals noch ungewohnte digitale Zusammenarbeit der Ingenieur-Teams wurde schnell zur Routine. Ich glaube, das ausgereifte Anlagendesign ist Beweis unserer effektiven Teamarbeit – sowohl intern als auch zusammen mit CEL. Es wäre mir eine Freude, bald den Bau dieser kombinierten Klär- und Stromerzeugungsanlage in El Salvador zu begleiten.
In meinen Augen kann das Konzept des Klärwerks San Salvador weltweit als Vorbild dienen und auch anderenorts Doppelnutzen schaffen: die Umweltbelastung reduzieren und gleichzeitig klimafreundlich Strom erzeugen.“
Mai 2024
Francisco Mendoza Parissi
Regionalleiter Lateinamerika
im Bereich Siedlungswasserwirtschaft