Die Raumfahrt und ihr Beitrag zur Entwicklung von Wasserstoffanwendungen
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt bat mich im Herbst 2020, den Abgeordneten des Wirtschaftsausschusses des baden-württembergischen Landtags die Verbindung zwischen Raumfahrt und Wasserstoffwirtschaft näher zu bringen. Es war mir eine große Freude, dies zu tun, denn Fichtner verdankt seine Expertise und damit seine starke Position im Wasserstoffsektor vor allem der Arbeit für die Raumfahrt. Ich bin davon überzeugt, dass die Raumfahrt ein großer Mehrwert auch für die Unternehmen anderer Branchen in ihren Entwicklungen im Bereich Wasserstoff sein kann. Deshalb möchte ich diese Gedanken nicht nur im kleinen Kreis äußern, sondern mit anderen Interessierten teilen. Den Inhalt des Vortrags vom 25.11.2020 vor den Mitgliedern des Landtags habe ich daher in diesem kurzen Beitrag zusammengefasst.
Vortrag im Rahmen einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Landtags Baden-Württemberg (25.11.2020)
Warum denke ich, dass wir von Fichtner etwas dazu sagen können, wie die Raumfahrt der Wasserstoffwirtschaft am Boden helfen kann? Die Antwort ist: Weil uns selbst die Raumfahrt sehr geholfen hat, in diesem Zukunftsmarkt Fuß zu fassen. Und ich bin überzeugt davon, dass sie auch vielen anderen Unternehmen aus Baden-Württemberg und Deutschland helfen und so ein wichtiger Wettbewerbsvorteil für unser Land sein kann.
Unsere Geschichte im Bereich Wasserstoff
Wasserstoff wird bereits seit Jules Verne als Energieträger der Zukunft gehandelt. So lange ist unsere Historie mit Wasserstoff nicht, aber sie reicht bereits gut 30 Jahre zurück: Alles fing mit einem Projekt an, das man heute als „Power-to-Gas“, „Sektorkopplung“ und „innovativ“ bezeichnen würde: Um das Jahr 1990 bearbeitete Fichtner ein Projekt namens „Solarwasserstoff Bayern“: Mit einer alkalischen Elektrolyse wurde aus PV-Strom Wasserstoff erzeugt, verschiedene Arten der Speicherung von Wasserstoff sowie Tankkonzepte wurden erprobt. Allerdings verlor die Energiewirtschaft Wasserstoff Anfang der Neunziger Jahre bereits wieder aus den Augen.
Wir hatten jedoch das große Glück, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt als Auftraggeber zu gewinnen. Am Standort Lampoldshausen werden Raketenantriebe getestet. Und für die Mehrheit dieser Antriebe ist Wasserstoff der Energielieferant. Seit drei Jahrzehnten planen wir dort Prüfstände für Raketentriebwerke und Geländeinfrastrukturen und sammelten so umfangreiche und wertvolle Erfahrung mit Wasserstoffanlagen. Dies beinhaltet u.a. Wasserstoff unter verschiedensten Betriebsbedingungen: kryogen, hoher Druck, niedriger Druck, extreme Reinheitsanforderungen – all das, was heute in Wasserstoffanlagen als Herausforderung diskutiert wird, durften wir fast 30 Jahre lang in der Raumfahrt lernen und anwenden.
Vor dem Hintergrund stark gesunkener Kosten für die Erzeugung von erneuerbarem Strom und der Notwendigkeit zur Dekarbonisierung unserer Wirtschaft, entdeckte die Energiewirtschaft, in der wir selbst zuhause sind, vor einigen Jahren den Wasserstoff wieder. Mit unserer praktischen Erfahrung im Bereich von Wasserstoffanlagen, die wir in der Raumfahrt über viele Jahre gesammelt haben, sind wir überzeugt, einen Mehrwert zu bieten und so einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft leisten zu können. So sprachen wir Kunden und Unternehmen an, die aus unserer Sicht Unterstützung im Bereich Wasserstoff benötigen könnten und stellten unsere einschlägige Expertise vor. Die Rückmeldungen waren und sind großartig: Unsere Erfahrung und Kompetenz wurden von Gesprächspartnern als einzigartig und als großer Mehrwert eingeschätzt. Mit diesem Wettbewerbsvorteil gelang es uns in den letzten Jahren, stark zu wachsen. So wuchs unser Team von vier auf elf Mitarbeiter innerhalb von nur eineinhalb Jahren. Wir haben Projekte von Chile bis Australien bearbeitet, von der Politikberatung bis zur Generalplanung von kommerziellen Power-to-Gasanlagen. Unsere Erfahrung aus der Raumfahrt war dabei in vielen Fällen der Türöffner und der Erfolgsgarant.
Mehrwert für die Wasserstoffwirtschaft
Sind wir bei Fichtner nun ein Einzelfall oder ist das, was für uns an der Raumfahrt so wertvolle Erfahrungen waren, für andere Unternehmen auch ein Mehrwert? Dazu ist es wichtig, sich zu fragen, was denn die Herausforderungen für Unternehmen, die sich neu mit Wasserstoff beschäftigen, sind:
- Hoher Druck: Fahrzeugtanks für Brennstoffzellenfahrzeuge werden bei 700 bar betrieben.
- Brennbarkeit und Explosivität: Wasserstoff bildet sehr leicht explosionsfähige Atmosphären.
- Hohe Reinheitsanforderungen: In Brennstoffzellen müssen Verunreinigungen unbedingt vermieden werden, um sie nicht zu beschädigen.
- Tiefe Temperaturen: In manchen Anlagen und Fahrzeugen wird Wasserstoff flüssig bei -253°C gespeichert.
- Kleines Molekül: Wasserstoff hat hohe Anforderungen an die Dichtigkeit der Systeme.
Viele Unternehmen, z.B. in der Automobil- und Zuliefererbranche, arbeiten an diesen Herausforderungen. Viele von ihnen sprechen mit uns darüber. Die Raumfahrt hat über Jahrzehnte Erfahrungen mit diesen Anforderungen gesammelt und weiß, wie man mit ihnen umgeht. Deshalb bin ich überzeugt, dass das Wissen der Raumfahrt nicht nur für uns, sondern auch für andere Unternehmen, die sich mit Wasserstoff beschäftigen, sehr wertvoll ist.
Aus diesem Grund bin ich sehr froh, dass das DLR am Standort Lampoldshausen ein Technikum entwickelt, in dem Forschung und Entwicklung für Unternehmen im Bereich Wasserstoff stattfinden kann und welches den Wissenstransfer aus der Raumfahrt auf den Boden aktiv vorantreibt. Vor diesem Hintergrund bin ich überzeugt, dass die Raumfahrt mit ihrem Wissen unserem Wirtschaftsstandort im Bereich Wasserstoff viel zu bieten hat.
Matthias Schlegel
Fachbereichsleiter Wasserstoff