FICHTNER Talks 2022
Der Energiepreiskrise trotzen und unsere Energiezukunft nachhaltig anpacken
Wir trafen uns inmitten des Krisengewirrs am 27. September 2022. Die Bundesregierung hat gerade die ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme eingesetzt, um Vorschläge zur Bewältigung der Gaspreiskrise zu erarbeiten. Die Ergebnisse des „Stresstests“ liegen taufrisch auf dem Tisch – mit unterschiedlichen politischen Interpretationen, was die Konsequenzen angeht. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Dr. Ursula von der Leyen, hat ihren Vorschlag zur Abschöpfung von Übergewinnen bei Stromerzeugern auf den Weg gebracht und zugleich wird die Gasumlage kontrovers diskutiert. Dass wir ein volles Haus hatten, zeigt das Bedürfnis, die aktuellen Sorgen einerseits und die positiv gestimmten Pläne andererseits in einem vertrauten Fachforum offen besprechen zu können.
Erhellend war der Eröffnungsvortrag von Dr. Barbara Hendricks, die 2015 als Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit das Pariser Abkommen für Deutschland verhandelte. Sie gab uns Einblicke in die Entstehungsgeschichte und Verhandlungsumstände eines Verhandlungs-Großevents mit fast allen Nationen der Welt. Das Ergebnis war die Vereinbarung, alle Anstrengungen zu unternehmen, bis Mitte des Jahrhunderts die Treibhausgasemissionen weltweit auf Null zu reduzieren und so möglichst die globale Temperaturerhöhung auf unter zwei Grad, bezogen auf die vorindustrielle Zeit, zu beschränken.
„Wir brauchen einen Masterplan, der Strom, Gas und Wasserstoff umfasst.“
Dirk Güsewell ist Mitglied des Vorstands der EnBW Energie Baden-Württemberg AG und als Chief Operating Officer Systemkritische Infrastruktur in diesen Tagen besonders gefordert. Für ihn hat sich „die Netzinfrastruktur zum Integrator, zum Taktgeber und Enabler für die Energiewende entwickelt.“ Er beklagt, dass es trotz offensichtlicher Wechselwirkungen zwischen den Energieträgern kein ganzheitliches Zukunftsbild gibt. Es findet keine Orchestrierung und Steuerung auf eine abgestimmte, langfristige Lösung hin statt. So werden die Strom- und Gasnetzentwicklungspläne nebeneinander und unabhängig voneinander entwickelt – von der Wasserstoffentwicklung ganz zu schweigen. Das ist zu ändern. Ebenso verdeutlichte Tobias Egeler, Leiter Netzwirtschaft (Business IT) bei TransnetBW GmbH, wie notwendig die Verbindung von Netz und Markt in erneuerbaren Energiesystemen ist.
Die aktuelle Krisenlage und unsere deutliche Abhängigkeit von Russland haben Prof. Dr.‑Ing. Kai Hufendiek vom IER Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart und Dr. Felix Christian Matthes vom Öko-Institut e.V. dargestellt, während Dr. Wiebke Lüke von der WEW GmbH die vielversprechendsten Lösungsmöglichkeiten „im kleinsten Molekül der Welt“ sieht.
Andreas Niederle von EQT Partners sieht Nachhaltigkeit als Werttreiber und zeigte die Bedeutung von ESG-Kriterien für Finanzierungsprojekte auf. „Ohne ein adäquates ESG-Rating wird es kein Geld mehr geben.“ Und für Dr. Jens Strüker von der Universität Bayreuth werden hierzu Blockchain-basierte Nachweissysteme benötigt.
Harry Gatterer vom Zukunftsinstitut rief dazu auf, die Zukunft als willentliche Entscheidung zu betrachten und selbst zu gestalten. Danach folgte der abschließende Round Table mit Kirsten Fust von den Hamburger Energiewerken, Dr. Roland Merger von Renewable Energies BASF SE, Robert Pflügl vom Bayernwerk Netz und Eckard Veil von Energie und Wasser Potsdam. Viel mehr Dynamik, flächendeckende Digitalisierung, entschlossene Entbürokratisierung und Zivilcourage sowie neue Wege der Rekrutierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern waren die einenden Stichworte der Podiumsdiskussion.
„Zukunft ist eine Frage, wie ich mich entscheide.“
Diese und andere energierelevante Themen werden am 26. September 2023 bei den nächsten Fichtner-Talks fortgesetzt.
Oktober 2022
Dr.-Ing. Albrecht Reuter
Wissenschaftlicher Leiter der FICHTNER Talks
Geschäftsführer der Fichtner IT Consulting GmbH